Samstag, 3. Dezember 2011

Adam und Bruno -- Teil 2

Teil 2 von 4

»Ich warte auf das Hilfreiche«, unterbricht mich Bruno knurrend. »Du erzählst mir dieses und auch jenes, aber wo bleibt das, woran ich deine Sympathie für mich erkennen kann?«, schimpft er ungeduldig.
»Es kommt, ich verspreche es! Habe bitte noch etwas Geduld! – Damit es ganz deutlich wird, muss ich weiter ausholen«, bemühe ich mich, ihn zu beruhigen.
»Also gut!« Sein Gesicht entspannt sich tatsächlich.
»Um deine Ungeduld ein bisschen zu dämpfen, werde ich dir verraten, worauf ich hinaus will.«
»Jetzt bin ich aber gespannt«, knurrt er wieder, und ich sehe ihm die Spannung an.
»Ich will dir insbesondere verdeutlichen, dass du mit deiner positiven Einschätzung des Kapitalismus wirklich recht hattest. Er ist tatsächlich eine Gesellschaftsform, die dem Einzelnen gute Möglichkeiten bietet, etwas mehr zu erreichen als nur sein tägliches Brot, um satt zu werden.«
»Ich gebe es zu: Jetzt hast du mich überrascht«, bekennt Bruno freimütig und scheint sein persönliches Unglück für einen Augenblick zu vergessen.

»Wer mit einer Oblate pro Tag zufrieden ist, wird sie auch in einer kapitalistischen Gesellschaft erhalten. Will dagegen jemand ein besseres Finanzpolster haben, so wird ihm das niemand hinterhertragen, dafür hat er selbst zu sorgen.«
»Du verwirrst mich. Willst du mir etwa erklären, wie Kapitalismus funktioniert?«
»Nein, das habe ich keineswegs vor, zumal ich davon ausgehe, dass du ihn weit besser kennst als ich«, erwidere ich und fahre fort: »Meine Absicht ist es allein, auf einige Besonderheiten hinzuweisen, die zwar zu den Stärken des Kapitalismus gehören, die wir aber trotzdem allzu häufig übersehen.«
»Die Spannung wächst und wächst …« Er lächelt sogar ganz leicht.
»Wir Menschen lassen uns in zwei verschiedene Typen aufteilen: Zunächst haben wir da die große Masse, die mit dem, was sie bekommt, überwiegend zufrieden ist. In der Gruppe sind zwar einige, die nicht immer völlig zufrieden sind, die gern etwas mehr hätten, aber dieser Wunsch ist nicht so glühend, dass sie deswegen in die zweite Gruppe überwechseln und aktiv werden.«
Ich lege eine kurze Pause ein, um Bruno Gelegenheit zu geben, etwas zu erwidern – aber er schweigt. Sein Gesicht zeigt wirkliches Interesse.
»Gut, kommen wir zur zweiten Gruppe. In ihr finden wir die eigentlichen Kapitalisten. Für sie ist die Jagd nach Vergrößerung des Vermögens eine Art von realistischem Monopoly-Spiel. Erregt von einer verlockenden Aussicht auf ein wachsendes Vermögen, studieren sie mit großer Begeisterung den Wirtschaftsteil etlicher Tageszeitungen und suchen nach lukrativen Anlagemöglichkeiten. Wie es sich allerdings zeigt, neigen die von Habgier beeinflussten Jäger nach Reichtum dazu, bei Anlagemöglichkeiten vor allem auf die Höhe der Prozente zu achten und die Risiken zu übersehen. Nicht anders als beim Monopoly-Spiel ist auch das wirkliche Leben nicht frei von Verlusten. Diese Kapitalanleger sind selbstverständlich schlau genug, nicht den für ihren Lebensunterhalt erforderlichen Teil an ihrem Vermögen zu riskieren, sondern nur das Kapital, das sie gegebenenfalls verlieren können, ohne dass deswegen ihre Existenz bedroht wird.«
»So habe ich die Kapitalisten noch nie betrachtet. Du schilderst diese Menschen, als hätten sie wirklich Freude an dieser Art ihrer Lebensführung«, bemerkt Bruno.
»Wie dir, so ergeht es vielen anderen ebenfalls. – Doch fahren wir fort, denn jetzt kommen wir nämlich zu einer erstaunlichen Entdeckung, die natürlich vor allem diese engagierten Kapitalisten begeistert: Es ist sozusagen der Lebenslauf des Kapitals. Zunächst wird es in bestehende Unternehmen investiert, und dort entwickelt es sich zur Konkurrenz für die Arbeitnehmer. Folglich scheint es nur konsequent zu sein, dass es auch ein Gehalt verlangt, eine Gewinnbeteiligung. Anstoß nehmen daran – wie sollte es auch anders sein – einige Fanatiker, die Gerechtigkeit auf ihre Fahnen geschrieben haben, richtiger: ihre Version von Gerechtigkeit. Die Entwicklung des Kapitals können sie jedoch nicht aufhalten, denn es gibt etwas, was bewusst verschwiegen wird, um keine Gegner aufzuschrecken.«
»Bis jetzt habe ich noch nicht herausgefunden, was du erreichen willst. Im Augenblick tappe ich noch völlig im Dunkeln … aber, entschuldige bitte, ich wollte dich nicht unterbrechen. Erzähle bitte weiter!«, wirft Bruno ein.
»Erinnern wir uns daran, dass Arbeitnehmer und das Kapital zunächst Konkurrenten sind, allerdings sind sie nicht gleichwertig. – Wer ist höherwertig, das Kapital oder die Arbeitnehmerschaft?«, frage ich nun den überraschten Bruno.
»Jetzt erwartest du wohl eine Antwort von mir, sofern ich dich richtig verstanden habe?«, vergewissert er sich.
»Selbstverständlich nur, wenn es dir keine Probleme bereitet«, beeile ich mich, ihm zu antworten.
»Nein, das bereitet keine Probleme«, versichert er mir sofort. »Höherwertig ist die Arbeitnehmerschaft, denn sie wurde ausgebildet, in ihr steckt alles Wissen.«
»In ihr steckt das Wissen, das ist völlig richtig, aber in ihr stecken auch die beschränkte Arbeitszeit, die Querelen mit den Gewerkschaften, die Streiks, die Forderung nach mehr Freizeit und höherem Einkommen sowie natürlich einem human gestalteten Arbeitsplatz, der Wunsch nach einem kurzen Arbeitsweg und der Sicherheit, nicht in eine andere Stadt oder gar in ein fremdes Land umziehen zu müssen. Arbeitnehmer können krank werden, bei einem Unfall verletzt oder sogar getötet werden, sie bekommen Kinder, die selbstverständlich auch Bedürfnisse haben und dadurch die ohnehin bescheidene Flexibilität der Eltern weiter einschränken. – Bleibst du noch immer bei deiner Ansicht, die Arbeitnehmerschaft sei im Vergleich mit dem Kapital höherwertig? – Zu welchem Urteil kommen wohl die Kapitalisten?«
Offensichtlich ist mir die Überraschung gelungen, denn Bruno betrachtet mich, als habe er erst jetzt mein wahres Ich erkannt und könne das Gehörte gar nicht fassen.
»Wie man sich doch täuschen kann! Ich hielt dich stets für einen Gegner des Kapitalismus.« Ungläubig schüttelt Bruno seinen Kopf. »Ich kann es gar nicht fassen, dass du mir die gesamte Zeit, die wir uns kennen, ein falsches Bild von dir vermittelt hast.« – Er schweigt, als wären ihm die Worte ausgegangen, und schüttelt dann abermals seinen Kopf.
»Bist du sicher, dass ich dir jetzt ein realistischeres Bild von mir vermittelt habe? Ist es nicht oft so, dass man sich dort, wo man sich bereits einmal geirrt hat, durchaus auch ein zweites Mal irren kann?«, gebe ich zu bedenken.
»Das wäre sicherlich möglich, aber ich sehe in dir jetzt einen Befürworter des Kapitalismus … oder irre ich mich schon wieder?« Überzeugt von seinem Urteil, richtet er auf mich einen bewusst erzeugten festen Blick; doch ein leiser Zweifel steht ihm ins Gesicht geschrieben.
»Lassen wir die Frage, was ich bin, unbeantwortet, weil sie in diesem Zusammenhang keine Bedeutung hat.«
»Ich hätte zwar die Antwort gern erhalten, aber du bist der Erzähler, und du bestimmst deshalb, was du erzählen willst«, gesteht mir Bruno zu.
»Am Ende unseres Gesprächs wirst du wissen, was ich bin oder nicht bin«, verspreche ich ihm.
»Geht es etwa noch weiter?«
»Ja, es geht noch weiter, denn wir wollen zum Schluss zu einem Urteil kommen, und zwar über den immer mehr akzeptierten Kapitalismus und …«, ich breche den Satz ab und warte, ob ich eine Antwort erhalte oder ob eine Frage gestellt wird.
»Schon kommst du wieder mit einem Rätsel! Dabei bin ich doch gar kein Freund von Rätseln«, brummelt er etwas unwirsch.
»Das ist auch nicht erforderlich. Außerdem will ich es nicht zu spannend machen, denn das lenkt schließlich nur vom eigentlichen Thema ab.«
»Das freut mich«, gibt er erleichtert von sich.
»Es folgt kein Rätsel, sondern eine Aufgabe, die es zu lösen gilt: Was stünde wohl auf einem Wunschzettel der Kapitalisten, dürften sie sich das wünschen, was ihnen am besten gefällt?«
»Fahre fort!«, ruft Bruno hastig, bevor ich ihm Fragen stellen kann.
»Sicherlich möchten sie von allen Eingriffen verschont bleiben, von wem sie auch immer kommen mögen, denn jede Einmischung stört den freien Markt, und nicht zuletzt verhindert sie häufig saubere Lösungen.«
»Das leuchtet mir ein«, erklärt Bruno.

Viele Grüße
Wolf-Gero Bajohr

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4 Kommentare:

  1. Hallo Wolf Gero, ich denke, Kapitalisten wünschen sich nicht nur keine Einmischung, sie wünschen sich auch immer noch mehr und mehr und mehr.......usw.

    Alles Liebe
    Ursula

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  2. Hallo Ursula!
    Immer mehr das ist und bleibt das Ziel der Kapitalisten. Jede Einmischung kostet Kapital, das sie lieber in die eigenen Säcke stopfen, Taschen reichen nicht mehr.
    Das ist das Gesicht der Gier, denn sie ist potenziell unstillbar.
    Alles Liebe
    Wolf-Gero

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  3. Grüß Dich, Wolf-Gero!

    Der kapitalistische Wunsch nach mehr kann nun aber nicht mehr befriedigt werden. Das Ende der Fahnenstange ist erreicht. Da kann die Finanzpolitik noch so herumeiern, es ist nur der Versuch, einem Nackten in die Taschen zu greifen. Jetzt wird sich das erfüllen, was schon C.F.v. Weizsäcker vorausgesehen hat: Es werden zunächst als Regulativ Kriege vom Zaun gebrochen (möglicherweise schon im kommenden Jahr gegen den Iran)und künstliche Seuchen produziert. Der Abgesang beginnt.

    VlG
    Elke

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  4. Hallo Elke!

    Das Fatale an den mutmaßlichen Vorgängen ist leider, dass wir kleinen Leute auf der Strecke bleiben, denn sich selbst werden sie zu Beginn nichts antun. Doch irgendwann setzt der Konzentrationsprozess ein, dann wird auch keine Rücksicht auf ihresgleichen genommen.

    Im Gegensatz zum Normalfall, bei dem man sich freut, wenn man recht hatte, treibt es einem Schauer über den Körper, wenn man feststellt, dass C. F. von Weizsäcker mit seiner düsteren Prognose recht hatte.

    Viele liebe Grüße
    Wolf-Gero

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