Sonntag, 4. Dezember 2011

Adam und Bruno -- Teil 4

Teil 4 von 4



»Dein Hinweis auf unseren Lebensstandard gefällt mir ausgesprochen gut. In diesem Zusammenhang wäre ich gar nicht darauf gekommen. Meine Gedanken richten sich stärker auf den Einfluss, den die beiden Systeme auf die Gesellschaft ausüben. Während der Kapitalismus bemüht ist, auch den Arbeitsplatz, den niemand haben will, mit einer beliebigen Arbeitskraft zu besetzen, das heißt, ohne vorhandene Qualifikationen zu berücksichtigen, strebt die Leistungsgesellschaft danach, jeder Arbeitskraft zu seiner idealen Position zu verhelfen und jedem Arbeitsplatz zu einer idealen Arbeitskraft. Damit fördert sie die Leistung und somit den Wohlstand der Gesellschaft. Hingegen ist der Kapitalismus versucht, die Arbeitslosenstatistiken zu schönen und die Kosten für die Gesellschaft grundsätzlich niedrig zu halten, um einer winzigen und extrem reichen Gruppe ein Leben im Überfluss zu ermöglichen.«
»Wie ich feststelle, fällst du bereits fertige Urteile über zwei mögliche Gesellschaftssysteme, Adam. Auf der einen Seite bin ich überzeugt davon, dass du dich hinreichend in die Materie eingearbeitet hast, doch auf der anderen Seite melden sich meine Bedenken und wollen erfahren, ob es überhaupt ein objektives Urteil geben kann.«
»Du bist ein aufmerksamer Zuhörer, Bruno! Vielleicht siehst du ja eine gute Möglichkeit, um objektiv feststellen zu können, welche der beiden Gesellschaften die bessere ist?«
»Willst du mich etwa prüfen, Adam? Wir wissen doch beide, dass wir nicht von besser oder schlechter sprechen dürfen, wenn wir den Zweck nicht kennen.«
»Aber, Bruno, du bist sehr misstrauisch. Dich zu prüfen liegt mir fern. Es ist vielmehr so, dass wir den Zweck nicht ausdrücklich zu erwähnen brauchen, wenn er als bekannt vorausgesetzt werden kann.«
»Dem stimme ich zu.«
»Was hältst du davon, den Zweck als Bedingung für die Gültigkeit deiner Aussage aufzunehmen?«
»Das ist ein guter Einfall, und ich werde ihn sogleich umsetzen: Will ich erreichen, dass eine reiche Minderheit ihr Leben in größtem Luxus führen kann, kommt nur die kapitalistische Gesellschaft infrage. Liegt mir jedoch mehr an Gerechtigkeit und an den einfachen Leuten, die etwas leisten wollen und auch können, entscheide ich mich für die Leistungsgesellschaft. Als Kurzversion heißt es: Eine kapitalistische Gesellschaft unterstützt vor allem die sehr reiche Minderheit, während die Leistungsgesellschaft für Menschen von Vorteil ist, die fähig und bereit sind, etwas zu leisten.«
»Danke für den Vergleich, Bruno!«
»Gern geschehen, Adam!«
»Du sagst, die Leistungsgesellschaft sei für Menschen von Vorteil, die bereit und fähig sind, etwas zu leisten. Ich vermute jedoch, dass du nicht unterscheidest, ob jemand tatsächlich bereit und fähig ist, etwas zu leisten, oder seine Bereitschaft und Fähigkeit nur vortäuscht.«
»Aber doch, es zählt lediglich die Wahrheit. Schließlich ist eine bloß vorgetäuschte Wahrheit natürlich gar keine Wahrheit«, antwortet Bruno mit fester Stimme.

»Wie verhält es sich mit den Menschen, die sich selbst als Leistungsträger und Besserverdienende ausgeben? Wie passen sie in diese Beschreibung?«
»In der Tat, diese Menschen, die viel Aufhebens von sich machen, weil sie angeblich sehr viel leisten, sind ein Thema für sich. Erfreulicherweise gilt nach wie vor, dass die Arbeit zählt und nicht das Gerede darüber. Wer sein überhöhtes Einkommen rechtfertigen möchte, glaubt, bei der Leistungsgesellschaft fündig werden zu können. Doch er übersieht einen wichtigen Punkt: Ursache und Wirkung werden vertauscht, wenn das Einkommen als Beweis für erbrachte Leistungen herangezogen wird. Doch in einer Leistungsgesellschaft kommt zunächst die Leistung und erst danach die leistungsabhängige Belohnung. Angeblich sehr hohe Leistungen lassen sich folglich nicht zweifelsfrei beweisen. Deshalb sollten sich die betreffenden Menschen auch nicht Besserverdienende, sondern Mehrbekommende nennen, denn das ließe sich immerhin nachweisen.«
»Nachdem der Ostblock zusammengebrochen war, galt das Ereignis als ein deutlicher Sieg des Kapitalismus über Kommunismus beziehungsweise Sozialismus. – Aber ist diese Einschätzung überhaupt richtig?«, frage ich Bruno.
»Bei Vergleichen von Gesellschaften ist es wichtig, wer den Maßstab vorgibt. Wenn man die Anzahl geschäftlicher Vorgänge als Maßstab vorgibt, ist der Nachweis, dass der Kapitalismus das beste Gesellschaftssystem ist, leicht. Jede Beschränkung durch den Staat geht zulasten der Anzahl geschäftlicher Vorgänge. Die höchste Anzahl ist dann zu erreichen, wenn sich der Staat gar nicht einmischt.«
Bruno scheint in seinem Element zu sein. Bevor ich ihn nach der Leistungsgesellschaft fragen kann, fährt er bereits fort:
»Wer dagegen im Leistungsmaximum den Maßstab für die Bewertung einer Gesellschaft sieht, kommt zu anderen Ergebnissen, denn dann setzt nämlich vieles die Leistung herab, woran wir zunächst überhaupt nicht denken: Der Arbeitsplatz an einem anderen Ort oder in einem fremden Arbeitsbereich wird vom Kapitalismus gefordert, weil es trotz eindeutiger Nachteile für Arbeitnehmer die Anzahl geschäftlicher Vorgänge erhöht. Wie aber nicht anders zu erwarten, sieht die Leistungsgesellschaft darin jedoch ein Minus. Wer auf einem fremden Arbeitsplatz sitzt, erbringt sicherlich keine Höchstleistung.«
Bruno blickt auf seine Uhr. »Ich sehe gerade, dass ich mich beeilen muss, um den Zahnarzt-Termin einhalten zu können.« Bruno eilt zum Auto, und ich gehe weiter.

Der Kapitalismus steht unter anderem für die intensive Pflege des Scheins. So wird der ohnehin bereits für dumm gehaltene kleine Mann weiterhin für dumm verkauft. Die Presse meldet, tausend Arbeitsplätze gingen verloren. Nur kurze Zeit später verspricht eine Schlagzeile viertausend Arbeitsplätze, die geschaffen werden sollen. Der normale Zeitungsleser freut sich darüber, da sich die Bilanz sehen lassen kann, zumindest scheint es so zu sein: Als Ersatz für tausend verlorene Arbeitsplätze werden viertausend neu eingerichtet. Es sieht nach einem wirklichen Zuwachs von dreitausend Arbeitsplätzen aus. Schon lässt die Regierung verlauten: »Es geht aufwärts!« Vertreter einer bestimmten ziemlich weit rechts stehenden Partei fordern bereits eine Steuerersenkung für die Spitzenverdiener. – Wie verhält es sich aber wirklich? Vernichtet wurden tausend Jobs mit einer Gehaltssumme von zwei Millionen Euro. Neu erstellt werden viertausend Jobs mit einem Gesamteinkommen von ebenfalls zwei Millionen Euro. Das Geld ist folglich geblieben, nur dass es jetzt für viertausend Arbeitsplätze reichen muss und nicht für tausend. Die Arbeitgeberseite erhält für das gleiche Geld die vierfache Arbeit.
Ein Blick in eine relativ nahe Zukunft lässt bereits eine neue über die Arbeit definierte Gesellschaft erahnen. Sollte es in absehbarer Zeit nicht mehr genug Arbeit geben, um jedem Arbeitswilligen einen angemessenen Arbeitsplatz zuzuweisen, sollte zunächst die Regelarbeitszeit verkürzt werden. Wir müssen jedoch unbedingt darauf achten, dass die Arbeitgeber nicht die einzigen Nutznießer sind, indem sie zwar die Arbeitszeit verkürzen, das Arbeitsvolumen aber beibehalten, sodass die gleiche Arbeit in kürzerer Zeit erledigt werden muss. Die Arbeitszeit zu verkürzen kann nur eine vorübergehende Maßnahme sein. Als Endziel ist anzustreben, dass die Arbeitswilligen einen angemessenen Arbeitsplatz erhalten. Wer nicht arbeiten möchte, braucht auch nicht zu arbeiten. Für so manchen ist diese Lösung unvorstellbar, das sei zugegeben, dennoch wird diese Zeit kommen, vorausgesetzt jedoch, es gibt hinreichend viele Arbeitswillige, um die anfallende Arbeit zu erledigen.

Viele Grüße
Wolf-Gero Bajohr


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4 Kommentare:

  1. Ich wünsche mir zu Weihnachten richtig schwer arbeitende Kapitalisten, ich schreibe hier aber nicht zu welchem Weihnachten in welchem Jahr, denn das werden wir so schnell wohl nicht erleben, schwer arbeitende Kapitalisten,... diese Spezies läßt lieber Viele für nur wenig Geld für sich arbeiten, jedenfalls zur Zeit und zu diesem Weihnachten noch.

    Viele l. Grüsse
    Ursula

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  2. Diesem Weihnachtswunsch schließe ich mich an. In einer Leistungsgesellschaft bleibt den Kapitalisten ohnehin nichts anderes übrig, als zu arbeiten.
    Viele liebe Grüße
    Wolf-Gero

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  3. Hallo, meine Lieben!
    Natürlich gibt es schon diese Weihnachten "schwer arbeitende Kapitalisten". Es ist ein schweres Stück Arbeit und kostet eine Menge Nerven ständig mit dem Börsenmakler an der Strippe Monopoly zu spielen bzw. im "Great Game" zu zocken. Nach getaner Arbeit bleibt noch der unruhige Feierabend mit diversen Arbeitsessen Gleichgesinnter oder der rauschenden Einweihungsparty für die neue Yacht (dabei leistet dann die Leber ein schweres Stück Arbeit).

    Herzl. Grüße
    Elke

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  4. Hallo!
    Ich sehe förmlich den Schweiß von der Stirn fließen, während sie ihrer Leber Unzumutbares zumuten.
    Herzliche Grüße
    Wolf-Gero

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